Träume vernetzen Leben zu einem Ganzen

Und eine Linde ist mein Lieblingsbaum;
und alle Sommer, welche in ihr schweigen,
rühren sich wieder in den tausend Zweigen
und wachen wieder zwischen Tag und Traum.

Letzte Strofe aus „Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum“

von Rainer Maria Rilke

Erste Frage in der Traumdeutung

Um die individuelle Bildersprache zu entschlüsseln und Traumdeutung zu betreiben, ist es zunächst hilfreich objektiv zu fragen. Nämlich, welche ganz konkreten und objektiven Alltagserfahrungen von Personen, Dingen, Gefühlen, Gedanken oder praktischen Handlungen im Traum wieder auftauchen und wie sie sich verändert zeigen, bzw. verarbeitet werden. Diese Verbindungen des Alltagserlebens mit der oft etwas wilden Fantasie unserer Träume herzustellen ist nicht leicht und erfordert viel Übung und Selbstzuwendung. In hypno-therapeutischer Begleitung wird das erleichtert. Es kann so ein direkterer Kontakt zu unseren intuitiven und assoziativen Fähigkeiten eröffnet werden. Das sind Fähigkeiten, die jeder Mensch hat und die uns helfen, sinnvolle Verknüpfungen zu unseren inneren Bildern herzustellen. Gelingt das, können wir ganz neue Einblicke bekommen in unsere unbewussten und meist auch unbemerkten Wahrnehmungen von bestimmten Ereignissen im Alltag.

Neben der Frage nach den objektiven Entsprechungen unserer Traumbilder, und genauso fruchtbar, ist die spannende Frage nach ihrer subjektiven Bedeutung ein wichtiger Teil der Deutung von Träumen. Wir können die Traumdeutung also auch so anfangen, dass wir annehmen, alle Personen, Lebewesen, wichtigen Dinge und eindrucksvolle Situationen im Traum würden auf einen Teil von uns selbst hinweisen. Dabei kann es auch wieder um ein bestimmtes inneres Erleben gehen, dass wir im Alltag nicht wahrnehmen konnten oder wollten, und das nun auf sich aufmerksam macht – vielleicht, dass wir unbemerkt überfordert, unterschwellig wütend oder verdrängt erotisiert waren. 

Hypnose, Traum und aktuelle Situation gehen also im therapeutischen Prozess ineinander über und ermöglichen so neues Verhalten. Es ist ein schöpferischer Prozess. Das beeindruckende dabei ist, dass es oft gelingt, aus den Bildern des Traums heraus auch Hinweise zu finden, die uns zeigen, wie wir in Zukunft anders und auch hilfreicher mit den auftretenden Selbstanteilen umgehen können. Hieraus können wir es schaffen, neuen Lebenssinn zu entwickeln und ein Gefühl der tiefen Zunahme von Übereinstimmung mit uns selbst.

Als Hypnose-Therapeut begleite ich, frage gelegentlich, unterstreiche, und bin meistens von den Bildern selbst auch fasziniert. Resonanz gibt es nicht nur zwischen der TräumerIn und den Bildern, sondern auch zwischen der TherapeutIn und den Bildern. Aus diesem Grund kommt es auch häufig am Anfang einer Therapie dazu, dass KlientInnen etwas träumen, dass mit ihren unbewussten Erwartungen an den Therapieprozess und mich als Therapeuten zu tun hat. Einen solchen Traum zu deuten kann dann für beide Seiten sehr förderlich und eine gute und bewusste Gestaltung der therapeutischen Beziehung voran bringen, worin nachweislich ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor liegt.

Albträume

Um uns durch die Auseinandersetzung mit unserer Traumwelt weiter zu entwickeln, können auch angsterfüllte Träume sehr hilfreiche Wegweiser sein. Traumforscher schätzen, dass etwa 10% der Menschen einmal im Monat oder häufiger Albträume haben. Dabei unterscheidet man zwischen Albträumen, in denen heftige Ängste durcherlebt werden, und solchen, die Episoden aus traumatischen Lebenserfahrungen des Träumers wiedererleben lassen, so etwa Unfälle, Naturkatastrophen, Gewalterfahrungen oder starke Demütigungen. „Es ist immer genau derselbe Traum“, sagen dann viele Menschen.

In der Psychotherapie gilt es mit solchen Träumen umgehen zu lernen, denn es hat sich – wie auch sonst im Umgang mit Ängsten – gezeigt, dass die Angst vor ihnen die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens eher weiter erhöht. Vermutlich ist es dieser Teufelskreis, der den Kinderbuchautor Michael Ende zur Erfindung des Traumfresserchens inspiriert hat. 

In der Hypnose stellen KlientInnen sich ihren Traum auf allen Sinneskanälen noch einmal vor. Dabei stellt der Therapeut, um gegebenenfalls auch das Angsterleben zu steuern, gezielte fragen zum Traumgeschehen und Inhalt, wodurch sich das Erlebnis meist schon in einigen Details verändert, z.B. „wie bedroht fühlen sie sich, wenn sie sich die Situation ohne Farbe in schwarz-weiß vorstellen?“ Aus der Sicherheit der therapeutischen Beziehung heraus gilt es also Wege zu finden, dass auch Emotionen, die im Albtraum zunächst nicht verarbeitet werden konnten, gelöst werden und zu hilfreichen neuen Perspektiven führen.

Entwicklungsträume

Träume konfrontieren uns auch oft mit Seiten unserer Persönlichkeit, die wir sonst nicht so gern wahrhaben wollen oder sie rufen in uns Stimmungen hervor, die in den Tag hinein reichen und allein dadurch schon hilfreich sind, weil sie so ein verändertes Erleben anregen. Im Traum erscheinen wir uns selbst auch oft in einem ganz anderen Licht, haben Fähigkeiten und Qualitäten, die wir eher mit anderen Personen als mit uns selbst in Verbindung bringen. Der Traum kann uns damit schillerndes Vorbild unserer Selbst werden lassen. Ebenso kann das Träumen auf diese Weise neue, heilsame Akzeptanz für uns selbst und neue Visionen von unserem Leben zum keimen bringen. So lassen Träume in unserem Bewusstsein von uns selbst wichtige und erlebnisreiche Unterschiede entstehen, an denen wir uns selbst überprüfen und entwickeln können.

Indessen kann es schwer sein, die lebensbejahenden Elemente und Ressourcen in den Träumen zu finden. Insbesondere dann, wenn es Menschen nicht gut geht und viele negative Gefühle auch in den Träumen vorkommen. Um dahin zu kommen ist es oftmals nötig zuerst die Achtsamkeit für positives Erleben und eigene Kompetenzen im Alltag zu üben. Sich selbst die Anerkennung und Wertschätzung zu geben, diese Achtsamkeit überhaupt auszuprobieren oder danach in sich zu suchen, kann schon der Anfang einer Veränderung auch im Traum sein. Ein Hauch von neuer Kraft, von Leben, das auch gelebt werden könnte, und das sich nun ankündigt und sachte durch die Seele weht – ihre Segel füllt und sie tröstend wach küsst. Wenden wir uns anerkennend uns selbst zu, fangen wir oft auch wieder an mehr zu träumen.

Schließlich zeigt sich, dass die Ressourcenaktivierung und Persönlichkeitsentwicklung, zu der die Wahrnehmung unserer Träume Anlass geben kann, fast immer möglich ist. Und zwar deshalb, weil unsere Ich-Struktur neu vernetzt wird, zwischen bewusster Wachwelt und eher unbewusster Traumwelt. Ebensolche lebendige Integration hat auch der therapeutische Prozess zum Ziel, den ich integrative Hypnose nenne. Integration meint in meiner Praxis soviel wie, neue Seiten an uns entdecken und sie zu einem stimmigen Ganzen zu entwickeln, das wieder mehr stabiles und selbstbewusstes Leben ermöglicht.

Grundidee einer Philosophie und Psychologie der Träume

In sehr kreativer Weise und oft auch sehr deutlich zeigen uns Träume also innere Konflikte. Das heißt, wir erleben darin unsere Netze, Komplexe, Muster oder Schemata. Damit bezeichnet man in der Psychologie individuelle Weisen des Fühlens, Denkens und Handelns, die im Laufe des Lebens unbewusst entstanden und schließlich reflexartig stabil geworden sind. Neutral gesagt haben diese inneren Konflikte eine Suchmaschinenfunktion, die uns im Leben ganz individuelle Erfahrungen mit ganz bestimmten Menschen machen lässt, die durch die Suchmaschinenfunktion überhaupt erst gefunden werden können. Innere Konflikte und Muster, oder Komplexe, wie C. G. Jung sagte, sind also nicht einfach Fehler. Denn erstens hat jeder Mensch welche und außerdem wäre unser Leben ohne sie orientierungslos und ohne Zusammenhang. 

Das ist eine grundlegende Einsicht der Tiefenpsychologie nach C. G. Jung, die man, weil die Idee so wichtig ist, noch einmal folgendermaßen zusammenfassen kann. Jeder Mensch entwickelt durch sein Leben und das Zusammenleben mit seinem Umfeld einen ganz eigenen inneren Stil von Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen. So leben wir alle letztlich in komplizierten Filterblasen, die mehr oder weniger Überschneidungen haben mit der Filterblase eines oder mehrerer anderer Menschen, der oder die gerade eine Rolle in unserem Leben spielen und in deren Leben wir eine Rolle spielen. Durch das ganze Leben hindurch, d.h. laut aktueller Psychotherapieforschung schon vor der Geburt, entstehen hierbei immer wieder kleinere und größere Belastungen und Konflikte in uns selbst und mit anderen. Dadurch wird unsere eigene Filterblase, unser Ausschnitt aus der Welt, in dem wir leben, ständig verändert. So verwachsen wir, mit einem Bild des Philosophen Peter Sloterdijk gesagt, wie ein Schaum, also eine Blase von Blasen, mit einer Sphäre der Welt, in der wir leben. Wir entwickeln also dauerhaft sogenannte Netze, Komplexe, Muster oder Schemata, die wie innere Suchmaschinen funktionieren und uns bestimmte sinnliche Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen besonders leicht zugänglich machen. 

Mit dem Ziel und Wunsch der Veränderung dieser Suchmaschinen suchen Menschen dann eine Psychotherapie oder ein Coaching auf. Und Träume können für solche Veränderungsprozesse ein sehr hilfreicher Ansatzpunkt sein.

Die Anregung zu diesem Blogartikel verdanke ich den Träumen, die mich durch mein Leben begleiten, und dem empfehlenswerten Buch:

„Träume – die geheimnisvolle Sprache des Unbewussten“ von Verena Kast.

Traumdeutung und Hypnose – Teil II